Kampftraining in den Stilen des Baguazhang

ein Interview mit Klaus Loewe,
langjähriger Praktiker Innerer Chinesischer Kampfkünste


KFSB: Man kann sich vorstellen, daß Kampftraining grundsätzlich mit einigen Belastungen sowohl für den Körper als auch für die Psyche verbunden ist. Würden Sie sagen, daß es bestimmte Voraussetzungen gibt, die jemand erfüllen sollte, um das Training, über das wir danach sprechen werden, zu beginnen?

K.Loewe:
Grundsätzlich gibt es kaum Einschränkungen, es gibt aber welche, gerade wegen der Eigenart von Bagua.

Da man eben einen Teil des Trainings, eventuell auch viel, damit verbringt daß man in einem eher engen Kreis geht, kann das Wirkungen auf das Gleichgewicht haben und die Regulierung des Kreislaufs. Das heißt aber nicht, daß Leute mit Einschränkungen bezüglich des Innenohrs und des Gleichgewichts so etwas nicht machen können, sie müssen nur sehr vorsichtig sein und gegebenenfalls nach wenigen Sekunden Pausen machen und sehen ob sie es vertragen.

Schriftzeichen "Baguazhang", in der Übersetzung:
"Acht Triagramm Handfläche", Näheres dazu HIER

Eventuell könnte das langfristig sogar eine Hilfe sein, kurzfristig muß man aber sehr reduziert an die Sache herangehen. Umfallen ohne Kontrolle über den Körper kann wie bekannt schwere Verletzungen nach sich ziehen. Man sollte also unter Aufsicht anfangen und bei den ersten Anzeichen von Schwindel aufhören und sich am besten hinsetzen, damit man gar nicht erst fällt.

Es gibt in dem Zusammenhang auch Wirkungen bei besonders gestreßten Leuten, auch welche mit klinisch-psychologischer Symptomatik. Auch da kann langfristig Besserung durch Lösung körperlich-motorischer, als auch psychosomatisch bedingter Spannungen eintreten, das kann aber auch mit emotionaler Erregung einhergehen (oder besser gesagt, wird es wenn solche Spannungen existieren und sich lösen). Eventuell wäre man da mit milderen Varianten wie Qigong und Taijiquan mit geringer Intensität erstmal besser aufgehoben.

Ich sage jetzt mal überspitzt, wenn man sich, was mir auch schon passiert ist, nach Qigong- oder Bagua-Übungen wie auf Drogen fühlt, dann sollte man das nicht ignorieren, sondern eventuell mal ein oder zwei Wochen Pause machen bis es sich wieder gibt. Emotionale Spannungen können über lange Zeit verborgen bleiben und lösen sich nicht unbedingt ohne emotionale Erscheinungen. Das ist auch ansonsten völlig unauffälligen Arbeitskollegen von mir passiert.

Schriftzeichen "Qigong", in der Übersetzung etwa:
"Übung des Qi", Näheres dazu HIER

Als Ausschluß würde ich Probleme mit den Knien und der Wirbelsäule ansehen, die auch durch Bewegung nicht reparabel sind. Das einfache Im-Kreis-Gehen oder Übungen mit geringer Intensität könnte im Einzelfall aber auch Besserung bringen. Da muß man dann sehen, ob die Art der Schädigung (Meniskusschaden, Bandplastiken) die Übung überhaupt zuläßt oder gleich zu Schmerzen führt. Auch da wäre ein längerer Vorlauf mit eher Taiji-ähnlichen Übungen ohne starke Drehungen oder Sprünge angezeigt, mit der Frage, warum es denn nachher noch Bagua sein muß. Man kann es aber sicher dann später probieren, und sehen, ob sich zum Beispiel in Bezug auf die Kniefunktion eine Besserung ergibt.

Ansonsten gibt es keine altersmäßige Einschränkung, außer daß jüngere Kinder vielleicht nicht unbedingt den großen Spaß an der Sache haben und auch nicht wissen, wann man mal aufhören muß. Bei älteren Erwachsenen, wie beispielsweise meiner Mutter, wird man dann feststellen, wie wenig Bewegungskompetenz vorhanden ist, wenn man sich außerhalb der normalen Alltagsbewegungen bewegt. Da muß man dann auch vorsichtig herangehen, und sich Zeit lassen. Aus muskulär-körperlicher Sicht ist es aber auch da eher förderlich.

KFSB: Gibt es Ihrer Meinung darüber hinaus, spezielle physische oder psychische Eigenschaften, die man bereits zum ersten Training mitbringen sollte, wie beispielsweise besondere Ausdauer bzw. innere Ausgeglichenheit oder lassen sich alle Qualitäten dieser Art durch das Baguazhang-Training entwickeln?

K.Loewe:
Das einzige was man nicht mitbringen sollte, ist übermäßige Aggressivität. In erster Linie sollte man es als Hobby ansehen, das etwas für körperliche Fähigkeiten tut und nebenbei vielleicht auch mal nützlich ist.

Die körperlichen Voraussetzungen werden ja primär gebildet. Da wo das nicht geht, kann man es nur mit Bandverletzungen zu tun haben, und da stellt sich die Frage, ob man nicht einfach nur etwas weniger tun muß, und es langsamer angehen.

Für die spätere Hochleistungsfähigkeit wäre es natürlich hilfreich, bereits körperlich nicht so schlecht dazustehen. Leute mit "gröberem" Apparat, also
kräftige Beine, starke Füße, starker Knochenbau und ausgeprägtem Bandapparat können in kürzerer Zeit was "reißen". Da man heutzutage aber weniger auf den Beruf "Karawanenwächter" oder "Chef der Präsidentengarde" aus ist, ist das nicht so wichtig. Ich bin ein dünner, langer Typ, der dann einigermaßen in die Breite gegangen ist, mehr in der Mitte. Trotzdem war ich körperlich fast allen Sportlern weit überlegen, die deutlich mehr getan haben als ich. Und das mit äußerst überschaubarem täglichen Einsatz.

Ich habe Leute mit 130 Kilo bewegt bekommen und konnte ziemliche Kräfte ab, die auf mich eingewirkt haben. Das dürfte, wenn man dann in die Kategorie "etwas stärker gebaut" driftet, noch deutlicher werden, da letzen Endes Muskeln eine Rolle spielen. Man sollte aber lieber nicht mit dem Anspruch kommen, möglichst kurzfristig besonders viel im "Zweikampf" zu reißen.

KFSB: Damit kommen wir zur Frage, wieviel Zeit die Ausbildung bei einem durchschnittlich begabten Übenden vom kompletten Anfänger hin zum Kämpfer mit soliden Fähigkeiten in Anspruch nehmen wird. Sprechen wir da über Monate oder doch eher über Jahre?

K.Loewe: Bagua, wie alle inneren Kampfkünste, arbeitet stark mit körperlichen Fähigkeiten. Diese brauchen Zeit sich zu entwickeln, und zwar unterschiedlich lange. Grundsätzlich sollten erste Zeichen der Entwicklung innerer Kraft schon in wenigen Wochen oder ein paar Monaten auftreten. Das wäre dann ein bestimmtes Kribbeln, ein komisches Gefühl, eine bestimmte Leichtigkeit im athletischen Bereich, wo man sonst eher früher ermüdet ist.

Irgendwann, unterschiedlich früh, tritt das auch in der körperlichen Kraft in Erscheinung. Üblicherweise dann, wenn man auch am Gewicht merkt, daß sich was tut. Ich habe in kurzer Zeit als "es" wiedergekommen ist, 10-12 Kilo zugenommen, wobei das im Wesentlichen Wasser und Gewebe ist. Warum das zur Kraftentfaltung beiträgt, ist eine andere Geschichte, das lasse ich jetzt außen vor, da man nicht zuviel Philosophie wälzen soll. Es ist aber eine Erklärung für die, die sich wundern, wenn sie plötzlich "dick" und schwerer werden. Auch da sollten es eher Monate als längere Jahre sein, wobei die Stärke über die Jahre immer mehr zunimmt.

Im Bereich "kämpferischer" Fähigkeiten reden wir über die gleichen Fortschritte, wie man sie üblicherweise auch bei anderen Grappling-Konzepten findet. Ein Judo-Hobbyist ist auch nach ein, zwei Jahren schon einigermaßen fähig wenn er viel trainiert, wird aber mit der Zeit auch immer besser. Die Fähigkeit, mit Bagua-Mitteln ringen zu können, sollte bei entsprechend talentierten Leuten die auch Partner zum Üben haben in dieser Zeit zu realisieren sein.

Was nicht so leicht festlegbar ist, ist die Fähigkeit, explosive Kraft zu nutzen. Diese ist deutlich anders als sich Leute, die es nicht kennen vorstellen. Man lernt es schneller, wenn man einen hat, der einen mit dieser Kraft konfrontiert. Reine Hobbyisten, die erst ein Jahr trainiert hatten und glaubten sie "könnten das nicht", haben spontan und ohne es zu merken mit dergleichen Kraft geantwortet, wenn ich sie ein bißchen damit "gehauen" habe. Der Körper nutzt was er hat und kann in Reflexen oft von alleine reagieren, wenn er in Gefahr gerät oder angegriffen wird.

Ein über 100jähriger Shaolin-Mönch, der noch im echten, alten Kloster gelernt hat, sagt dazu "Suddenly, the magic keeps sneaking in". Also eher als "Unfall", spontan. Mein erster Fajing war mit neun Jahren auch eine Reflexreaktion auf einen, der mich ohne böse Absicht seitlich angesprungen hat, um mich zu erschrecken. Dabei ging er allerdings KO, wenn auch nicht so dramatisch... Richtig alltäglich habe ich das aber erst zwanzig Jahre später gekonnt, aber in überschaubaren Massen.

Schriftzeichen "Fajin"/ "Fajing", in der Übersetzung etwa:
"Aussenden von Kampfkraft", Näheres dazu HIER

Der "normale" leichte Fajing war dann in allem, wozu man Kraft braucht, das ist dann ein bestimmtes leichtes Kribbeln während man die Bewegung macht, die eine ungewöhnliche Stabilität und Einfachheit gibt, als würde das was man bewegt nichts wiegen. Die Kontraktion geht auch schneller und ein bißchen ruckartig. Ein echter Hardcore-Fajing, also eine explosive Muskelkontraktion im ganzen beteiligten Körper mit großer Kraftentfaltung, ist mir eigentlich nur ein- oder zweimal passiert, spontan.

Das sind also keine Sachen, für die man sich unheimlich konzentrieren muß, sondern die passieren einfach, so wie man sich plötzlich unheimlich schnell und quasi "explosiv" duckt, wenn einem urplötzlich was ins Gesicht fliegt. Oder wenn man sich die Hand verbrennt. Das sind auch automatische Bewegungen mit mehr Kraft als normal. Die normale "Arbeitskraft" vergrößert sich aber auch, und die hat man ständig.

Ein Boxer würde also beim normalen Boxen merken, daß da mehr hinter ist, richtige Fajings würden aber zuviel Energie kosten und würden eher spontan mal auftreten. So sollte man auch den Einsatz dieser Mittel in der SV sehen. Man schlägt mit dieser Kraft sowieso stärker als normal, und hat "schwere Hände". Diese mythischen Kraftexplosionen dürften aber eher selten und nach längerer Zeit auftreten, oder auch nie. Passieren wird es eher unter Druck, wenn man muß.

Man hat also, körperliche Entwicklung durch entsprechendes tägliches Training vorausgesetzt, eine Lernkurve, die sich in Stadien entwickelt. Das Stadium "normal kompetenter Judoka" hat man halt in der gleichen Zeit wie dieser. Die intuitiven Fähigkeiten kommen irgendwann, oder auch nicht. Da heute nicht unbedingt das Leben davon abhängt, sollte man sich auch damit zufrieden geben. Der normale Kraftzuwachs und die Leichtigkeit die man bekommt, reicht auch so schon um einen Gewinn zu haben. Gesundheitlich und sportlich.

KFSB: Bevor wir uns über die ersten Übungen unterhalten, mit denen ein Anfänger sinnvollerweise beginnen sollte, wäre es interessant zu wissen, wieviel Zeit und Energie ein Praktiker Ihrer Meinung nach in das Training investieren sollte. Macht das Studium von Baguazhang beispielsweise überhaupt Sinn, wenn man nur einen Tag in der Woche Zeit zum Üben findet oder sollte man dann eher ein anderes Training wählen?

K.Loewe: Man muß, damit das überhaupt etwas bringt, täglich eine halbe Stunde mindestens mit Basisübungen verbringen. Einmal in der Woche kann man machen, wenn man unbedingt will, dann bringt es aber kaum was. Der Körper gewöhnt sich an etwas eben am einfachsten wenn er täglich ein bißchen stimuliert wird. Das muß nicht im Umfang früherer Tage für die Leibwächter und Mönche sein, mehrere Stunden am Tag.

Ein paar Minuten immer mal zwischendurch reicht auch, um die Grundreize zu haben, daß man innere Kraft und eine bestimmte Körperkontrolle bekommt. Das ist wie mit Ballspielen, ein Spieler der täglich mit dem Ball rumdaddelt, bekommt viel mehr Ballkontrolle als jemand, der einmal in der Woche drei Stunden bolzt. Jemand der täglich diese Grundübungen macht, bekommt ein anderes Körpergefühl, und eine besondere Kraftkomponente. Das klappt am besten durch tägliche Reize.

Man sollte aber bedenken, daß man ein Hobbyist ist, und daß es eine Beschäftigung ist, die erstmal den Körper entwickelt wie andere Leute Joggen oder Yoga machen. Besonderen Ehrgeiz muß man nicht investieren, man stößt sonst eher an Grenzen, die die natürlichen Ressourcen setzen. Immer mal wieder eine viertel Stunde, dafür aber jeden Tag, bringt mehr und wirft einen auch nicht aus dem Alltag.

Wenn man täglich sechs Stunden in die Entwicklung großer Körperkräfte und besonderer Kampftechniken investiert, stellt sich die Frage nach dem Warum. Es dürfte dann sich darum drehen, gegen bestimmte Leute antreten zu wollen, und in der Realität dürfte es dann eher so sein, daß man das sowieso nicht dürfte.

Viele Stunden am Tag sind da einfach überdimensioniert und werden einen nur auf den übertriebenen Pfad bringen, Leute wie Spielzeug durch die Gegend werfen zu wollen und am besten gleich platt zu machen. Da hat der Gesetzgeber irgendwie ein Problem damit. Wenn man sich ehrlich nur intensiv so einem Hobby widmet, kann man das machen solange man keine Probleme bekommt. Das Training stimuliert aber die Nerven so stark, daß man eher öfter mal eine Pause machen sollte. Es gibt auch ein Leben abseits der Kampfkunst.

KFSB: Wie sollte das "Einsteiger-Training" bei jemandem aussehen, der gesundheitlich zwar gut beisammen ist, aber auf dem Gebiet der Kampfkunst noch keinerlei Übungserfahrungen besitzt. Wie geht es los?

K.Loewe: Das kommt ein bißchen darauf an, was man später machen möchte. Bagua ist nicht wirklich ein homogenes Programm mit gleichem Inhalt. Es gibt viele Köche, und viele Praktiken.

Ein Programm, das für einen Bodyguard als Ausbildung dient, dürfte also andere Schwerpunkte haben, als sich ein Hobbyist setzen sollte. Der Bodyguard muß aktiv eingreifen können, wird es über kurz oder lang auch tun und kann sich nicht einfach durch Flucht aus der Affäre ziehen.

Da würde man also ein Iron-Body-Grundlagenprogramm fahren, aus Übungen die bei Ihnen auch schon auf der Website stehen, sprich Qigong und einfache Abhärtungsübungen ohne große Last für den Anfang. Im Gegensatz zu "äußeren" Programmen stumpft man den Körper nicht unbedingt ab, sondern versetzt ihn in die Lage, sich aktiv zu schützen. Das basiert also stark auf ein bißchen Knochenstärkung, um den Knochen dicker und fester zu machen, aber im Wesentlichen auf der Entwicklung innerer Kraft, die auch die Knochen schützt.

Mein verwegener Ansatz ist, daß die Knochen mit einem Flüssigkeitspuffer umgeben und im Rahmen der normalen Struktur auch von innen über Flüssigkeitsdruck geschützt werden. Ob und in welchem Umfang das der Fall ist, entzieht sich meiner Kenntnis, und ich möchte mich auch nicht in philosophisch-mystische Erklärungen verlieren. Es fühlt sich so an, und es gibt Hinweise, daß es so ist. Ist aber für das Funktionieren der Übungen relativ egal. Man muß nicht wissen, warum etwas funktioniert, sondern die Übungen so machen daß. Das sind keine spezifisch Bagua-typischen Übungen, sondern kommen so oder ähnlich in allen internen Stilen und auch externen vor, es ist eine Art Allgemeingut von irgendwoher aus alter Zeit. Mich langweilen und ärgern die Sagengeschichten mancher Leute die genau wissen wollen, auf welchen alten Mann in welchem Dorf das alles zurückgehen soll.

Übungen hat es schon vor 2600 Jahren gegeben, als die Effekte in einem Buch beschrieben wurden. Damit die Effekte da sind, braucht man auch die Übungen. Es handelt sich, wie Sie ja schon auf der Website aufgeführt haben, um einfache Massage- und Klopfübungen, Atemübungen und dergleichen.

Ebenfalls in den Bereich gehören Übungen, um bestimmte Fähigkeiten zu perkussivem Schlagen zu bilden. Das behalte ich aber für mich, da die wenigsten Leute lernen müssen, wie man viele böse Menschen in kurzer Zeit zu Kleinholz verarbeitet. Man sollte sich aber von heutigem modernen Geschwafel nicht vertun, wenn man bestimmte Dinge übt, dann geht so jemand nach fünf, sieben Jahren durch andere Leute durch wie nichts. Besonders wenn er vorher kein 50-Pfund-Hemd war.

Kommen wir zu dem Bereich den jeder machen kann. Das ist das Bilden von motorischen Fähigkeiten und das Stärken des Körpers, der Sehnen und der Architektur. Ebenfalls gebildet wird dabei innere Kraft bzw. die Grundlagen, falls man es korrekt macht. Das ist dann das, wofür Bagua eigentlich bekannt ist. Man kann sowohl nur Circle-Walking machen, also im Kreis gehen, mit bestimmten Mustern, Haltungen, und Schrittvarianten. Oder auch erst, was eigentlich besser ist, mit Vorübungen anfangen.

Das wären Standübungen mit verdrehter Haltung, also einfach hohe Reiterstellung, und im Oberkörper nach hinten verdrehen bis man nach hinten sieht. Die Schulter kann nicht weiter als 90°, weiter geht nur Kopf oder Arm. Man denkt aber nicht über diese Dinge nach, wichtig ist, so wie ich es gelernt habe, daß man ein natürliches Körpergefühl behält, oder es entwickelt. Man orientiert sich also an den Händen, Füßen, und die Mitte folgt in der Ausrichtung von alleine. Eine Hand streckt man dabei relativ weit geradeaus, eine Hand steht vor der Achse, Brust, je nachdem, ist Gefühlssache. Man kann die Hand eng am Brustkorb halten, dann wird man
merken, daß sich das leer anfühlt.

Das sind einseitige Pfade innerer Kraft, eine Hand enthält den Pfad, die andere ist leer, man hat eine vollkommende Differenzierung. Streckt man die Hand ein bißchen Richtung Ellbogen der gestreckten Hand, bekommt man zwei Pfade, es liegt auch etwas an der anderen Hand an, es ist also keine Differenzierung voll-leer, sondern man übt mehrere Pfade gleichzeitig, was auch die Ressourcen mehr belastet. Ich habe es so gelernt daß ich die "leere" Hand so weit nach vorne führe daß auch da etwas anliegt, andere Schulen machen es voll-leer. Die Basisresourcen werden sicher stärker durch die Variante entwickelt, die körperlich belastender ist, also die mit stärkerer Verdrehung und Pfaden in beiden Händen.

Logischerweise ist immer der Arm auf der Seite der Drehrichtung gestreckt, der andere geht schließlich nicht. Die Streckung ist gefühlsmäßig. Wenn man zu weit streckt, dann wird der Bizeps sich spannen (falsch), wenn man zu wenig streckt, fühlt sich der Arm leer an. Richtig ist die Mitte von beidem, es gibt ein bißchen Spannung, aber nicht soviel, daß der Bizeps verkrampft. Die andere Hand zeigt ungefähr auf die Handwurzel. Wenn man die Hand zu weit weg vom Brustkorb hat, wird es sich leer anfühlen. An irgendeinem Punkt fühlt sich die Spannung gut an, so sollte man es sich angewöhnen (nach Spannungsgefühl, nicht mit dem Winkelmesser). Wichtig ist, daß man sich nicht aktiv anspannt. Das gibt es auch, als körpertherapeutische Maßnahme um emotionale Krampfspannungen zu lösen. Im Normalfall stellt man sich aber nur hin, und die Spannung die von alleine kommt ist okay (auch nicht künstlich "entspannen" bis man eine Nudel ist), künstlich anspannen nicht.

Es gibt auf http://www.chinafrominside.com/ma/bagua/machuanxu.html ein Bild von Li Ziming, auf dem man sehr gut die Haltung sieht. Die innere Hand ist viel entspannter als man das bei anderen Leuten sieht, und weder hoch noch zu tief. Allerdings auch nicht schlaff. Die äußere Hand steht so daß er über die Finger sieht. Ich habe die Hand etwas tiefer, mit den Spitzen auf Kinn-, Hals- oder Mundhöhe. Die anderen Bilder in dem Artikel sind auch gute Anhaltspunkte.

In dieser Übung kann man auch die Füße ein bißchen nach innen drehen, das erhöht die Spannung im Körper und in den Beinen. Auch da soll man nichts aktiv anspannen. Die Spannung entsteht von allein.

Die nächste Vorübung ist die T-Stellung. Man stellt einen Fuß gerade und den anderen um 90° gedreht davor, die Fußinnenseite zeigt dabei nach vorne. Dabei bilden die Füße ein T, berühren sich, und liegen flach auf dem Boden. In der Richtung in die der Fuß gedreht ist, dreht man sich dann mit dem Oberkörper weiter, und nimmt die Handhaltung aus der anderen Übung wieder an. Man dreht sich aber nicht um 180° und sieht wieder nach hinten, sondern hat gegenüber dem 90° gedrehten Fuß noch mal ungefähr 45° oder ein bißchen mehr, wenn man schon sehr gelenkig und locker ist.

Es muß sich wieder die leichte Spannung einstellen, aber nicht so weit, daß sich die Schulter anfängt anzuspannen und woanders hinzustellen um die Lage auszugleichen. Die Schulter muß einigermaßen locker bleiben, da man auch üben muß sie locker zu lassen. Auch das wieder nicht mit unheimlich konzentrieren um ja kein Spännchen zu haben, sondern über die Haltung der Hände nur so weit zu drehen daß sie sich nicht völlig überspannt.

Man sinkt nun ein bißchen in den Beinen, steht nicht völlig aufrecht. Es gibt zwei Punkte, wo man sich zwischen positionieren kann. Ein Endpunkt ist, wenn man senkrecht sinkt und bei einem Fuß irgendwann die Achillessehne am Anschlag ist. Das ist die tiefste Stellung. Sie dient wirklich dem Stärken
und leichten Dehnen der Achillessehne, dabei muß man aber sehr vorsichtig
sein. Kein aktives Dehnen, nur Stehen. Man kann auch etwas höher stehen, dann ist der Druck auf dem Hüftgelenk. Die Knie sind immer noch leicht gebeugt.

Danach gibt es noch das Square-Walking. Man stellt sich ein größeres Schachbrett vor, wo man den einen Fuß auf die Seitenlinie stellt, mit der Ferse an der unteren Ecke. Den anderen Fuß, wieder um 90° verdreht so daß die innere Seite des Fußes nach vorne zeigt, auf die nächste Seitenlinie, auch wieder mit der Ferse an der Ecke. Das nennt man Baibu.

Schriftzeichen "Bai Bu", in der Übersetzung etwa:
"Schwingender Schritt", Näheres dazu HIER

Man bildet also kein T mit den Füssen sondern einen Winkel, wobei sich Ferse und Zehen des anderen Fußes nicht berühren. Man hat so eine Handbreit Platz. Im Oberkörper verdreht man sich wieder so wie in der T-Übung, hat also noch mal 45° zu diesem Winkel in Oberkörper und langer Hand. Knie so wie in der T-Übung gebeugt, aber minimal nach innen lehnen, man gibt mit dem Kopf ganz leicht eine Lage nach innen zur Richtung der Hand. Das erzeugt eine leichte Haltespannung im Körper.

Aus dieser Haltung setzt man die Füße jetzt langsam immer so um, daß man
über den vorderen Fuß umsteigt und den hinteren Fuß auf die nächste Linie umsetzt. Dabei alterniert man zwischen der Haltung mit der man anfängt (Baibu) und einer wo man etwas holzbeinig steht weil der vordere Fuß mit der Außenseite nach außen zeigt und beide Beine nach innen verdreht sind. Das nennt man Koubu.

Schriftzeichen "Kou Bu", in der Übersetzung etwa:
"Nach innen gebogener Schritt" bzw. "Zurückgehaltener Schritt",
Näheres dazu HIER

So setzt man also jetzt ständig auf der Schachbrettaußenlinie zwischen Koubu und Baibu um, und dreht sich im Oberkörper immer mit, bzw. führt mit der Hand. Später im Circle-Walking setzt man auch immer zwischen Koubu und Baibu um, nur leichter, weil man nicht in vier Schritten auf einem Quadrat komplett rum ist, sondern ungefähr 8, auf einem Kreis.

Das ist dann die letzte Kreisübung, man geht komplett um einen Kreis etwa
doppelt armlang im Durchmesser, so daß die gestreckte Hand etwa in der Mitte bleibt. Man kann etwas enger gehen, dann dreht sich der Unterarm um den Mittelpunkt, oder etwas weiter, dann berührt man ihn knappt mit den Fingern.

Dabei sackt man jetzt etwas deutlicher auf das hintere Bein zurück, das einen trägt. Der vordere Fuß ist fast ohne Last, und kann im Zweifel auch gehoben werden ohne die Haltung zu verändern. Man schiebt dann auf diesen Fuß um so daß der die Last trägt, und setzt den hinteren Fuß nach vorne um, wie in der Square-Walking-Übung, nur auf einem Kreis. Das ist ungefähr wie normales Gehen, und man kann, wenn man in den Knien ein bißchen gebeugt ist, auch mit normalem Gehen anfangen.

Es gibt mehrere Möglichkeiten zu gehen, eine ist, die Füße etwas zu schieben, und auf einem Niveau zu gehen, dabei ist man sehr leicht unterwegs und lastet kaum auf den Fuß. Eine andere ist, immer ein bißchen hoch und runter zu gehen, und mit leichtem Pendeln im Oberkörper Last und Gewicht auf den vorderen Fuß zu geben, also "mit Betonung" kraftvoll gehen. Es dient dazu, später in realem Bewegen den Platz, den man will auch zu nehmen, also ich geh da jetzt hin, und wer mir im Weg ist, der fliegt. Tatsächlich hat mir beim Sport keiner meinen Weg versperren können der seitlich reingelaufen ist, die sind auch bei höherem Gewicht abgeprallt, und ich bin ohne Veränderung meiner Laufbahnen geradeaus gelaufen.

Lustige Gegner haben beim Loslaufen auch versucht, mich an der Hüfte festzuhalten, das endete in der Regel damit, daß die wie ein Fähnchen hinten dran hingen und ein bißchen hingefallen sind, auch wenn die 100 Kilo
gewogen haben. So was kommt mit der Zeit, nicht gleich am nächsten Morgen.

Wichtig ist, daß man bei diesen Übungen nicht nachdenkt, man muß tun, und in der Übung in sich versinken. Beim Circle-Walking kann man sich sowohl ein bißchen weiter drehen als 45°, wenn es für das Gefühl von Kraft nötig ist, als auch mit und ohne sich nach innen zu lehnen gehen. Wichtig ist, daß man nicht den Hintern rausstreckt, sondern gerade geht, der Hintern hängt sozusagen.

Vor dem Losgehen berühren sich beide Knie, während des Gehens sollte man ungefähr diese Position durchlaufen. Geht nicht immer. Ein gutes Bild dafür ist hier:

http://wuyuan.de/images/photos/bagua.jpg

bis auf die Handhaltung. Diese Unterschiede in der Handhaltung sind teils stilspezifisch, teils begründet durch jeweilige Schwerpunkte die man gerade betont.

Für das Circle-Walking gibt es dann noch unterschiedliche Armhaltungen, z.B. mit beiden Armen fast gestreckt zur Seite gehen, wie zwei Teller halten oder die Arme runterbaumeln lassen, nach innen verdreht, mit den Handflächen nach unten und so eingedreht daß die Hände bzw. Fingerspitzen etwa unterhalb der Pfanne auf die Hüftgelenke zeigen. Das Gleiche, nur so als hätte man einen kleinen Ball in jeder Hand den man mit den Fingern hält, mit der inneren Hand nach unten, äußere nach oben, und die Hand jeweils im Uhrzeigersinn verdrehen. Plus noch ein paar andere.

Im weiteren Verlauf lernt man dann entweder Formen, die nicht unbedingt im Kreis gemacht werden oder Palm-Changes (also kleine Formmoves), die man immer mal wieder während man im Kreis geht zwischendurch macht, oder beides. Wenn man das zuhause üben will, sollte man sich mal ein Buch oder ein Video über das Liang Zhen Pu Bagua von Li Zi Ming besorgen (oder andere Stile), z.B. hier:

http://www.plumpub.com/sales/bagua/collbk_BGtrans.htm
http://www.plumpub.com/sales/vcd/coll_bagualiang.htm
http://www.plumpub.com/sales/vcd-title.htm#bagua

Schriftzeichen "Huan Zhang", in der Übersetzung:
"Wechselnde Hand" (Changing Palm), Näheres dazu HIER

Anwendungen die man da oft sieht sind entweder ein bißchen "geschmäcklerisch", stark entschärft, oder schlicht frei erfunden und völlig unfunktional, da sollte man also vorsichtig sein wenn etwas so aussieht als
wäre es Unsinn. Kann durchaus sein daß es Unsinn ist. Warum man so was so oft sieht, weiß ich auch nicht, aber das was ich mache, würde ich auch keinem zeigen, weil es schlicht gefährlich ist. Viele Würfe die nach nichts aussehen, können auf Asphalt schlicht und ergreifend tödlich sein, durch schwere Kopfverletzungen.

Weitere Übungen wären statische Halteübungen bzw. Standübungen, z.B. in obiger Schrittstellung, unverdreht, eine Hand mit der Handfläche nach vorne und entspannter Hand (Daumen nach unten) weiter nach innen so verdrehen, daß die Finger mit er oberen Kante auf Nasenhöhe über den Körper weg waagerecht auf die andere Seite zeigen, Ellbogen angewinkelt.

Also Handfläche senkrecht und 0° zum Körper, aber Finger waagerecht von links nach rechts bei linker Hand. Richtig ist, wenn man durch die Winkel in Ellbogen und Handwurzel eine leichte Spannung spürt, eventuell ein Kribbeln in den Fingern. Die andere Hand hält man genauso vor den Körper, etwas tiefer, vor der Kuhle in der Mitte der Brust, aber nicht die Finger auf die andere Körperseite gestreckt, sondern nur der Zeigefinger. Der Daumen hält den Mittelfinger von vorne und liegt auf dem letzten Glied, so daß auch der Daumen ein bißchen Haltespannung hat (kein Kreis, von vorne halten, die Finger sind aber leicht offen, keine Faust ). Einfach eine Weile so halten.

Das gleiche, nur mit der offenen Hand nicht vom Körper weg halten, sondern die Hand mit den Fingern nach vorne, über Stirnhöhe, die Handfläche nach oben halten wie mit einem Teller. Unterarm wieder nicht gestreckt, sondern etwa 40°, der Arm ist ein bißchen zur Seite raus, Oberarm etwas höher als waagerecht. Am besten paßt wirklich die Vorstellung, wie man einen Teller über Kopfhöhe hält, Arm nicht völlig gestreckt, aber auch nicht so angewinkelt daß die Spannung in der Hand zu groß wird.

Der Finger der anderen Hand, der fast genau zur Seite zeigt (genau geht bei mir nicht, wegen der Länge der Sehne), weist also auf die Fläche der anderen Hand die den Teller trägt. Die offene Hand ist nicht mit den Fingern zusammen sondern genau wie man etwas trägt, Finger nicht aktiv gespreizt, sondern so wie sie sich selbst positionieren. Sobald man innere Kraft entwickelt, nehmen die Finger oft den typischen "Spok-Gruß" an, zwei Finger sind näher zusammen, die anderen, oder nur einer weiter nach außen. So was soll man aber nicht aktiv machen, das ergibt sich, oder nicht. Wenn man innere Kraft entwickelt, dann bildet sich bei richtiger Haltung automatisch das Kribbeln wie man es vom Taiji kennt, in den Fingern, Händen, oder auch im ganzen Körper.

Schriftzeichen "Tai Ji Quan", Näheres dazu HIER

Wieder wird nichts aktiv geführt, nichts konzentriert, kein Führen der Macht
durch den Körper usw. Es geht darum daß der Körper von alleine bestimmt wo er gerade Kraft braucht oder möchte, das ändert sich nämlich öfter mal von einem Moment auf den anderen, gleichzeitig. Die Spannung geht später immer dahin wo der Körper Gelenke stabilisieren will, oder die Bewegung die er angefangen hat zu Ende bringen. Wenn man von vorne herein nicht mit Wollen eingreift, dann entsteht die Fähigkeit, so was instinktiv zu machen, die Kraft ist immer da wo man sie wirklich nötig hat.

Wenn ich einem auf gut Deutsch auf die Glocke hauen will, und bekomme gleichzeitig den Baseballschläger von hinten ins Kreuz, dann finde ich es gut daß mein Körper in dem Augenblick die Kraft auf den Rücken legt, nicht auf die Hand. Insbesondere ist es wichtig daß es von alleine passiert, weil man es mit Willen so schnell nicht hinbekommt, vor allem weil man erst merken müßte daß einen was trifft. Hauen kann ich immer noch mal, aber ein kaputter Rücken ist ein Problem. Das ist keine Theorie, das war bei mir so und wird hoffentlich auch wieder so.

Sprich: Wenn ich beim Sport gesprungen bin und mir hat einer gegen das Knie getreten, dann habe ich im Knie solange volle Kraftwirkung gehabt bis ich abgehoben war, danach habe ich dann allerdings eine Pirouette in der Luft gedreht. So was hat mir mehr als einmal die Knochen gerettet, was insbesondere auch bei Kämpfen mit übelwollenden Zeitgenossen eine wichtige Hilfe ist. Innere Kraft kommt nicht über Wollen, sondern durch den Geist.

Das ist eine Instanz höher als was man normalerweise empfindet, das was einem sagt "Renne!" wenn man merkt, daß man den Bus übersehen hat. Oder was am Lenkrad zieht wenn man denkt "Man der ist aber langsam", wenn auf der Autobahn einer auf der Mitte liegengeblieben ist. Man bezeichnet das im Chinesischen als "Yi", es wird aber oft falsch mit Willen übersetzt.

Schriftzeichen "Yi", in der Übersetzung etwa:
"Achtsamer Geist", Näheres dazu HIER

Es ist aber die innere Aufmerksamkeit, der Teil von einem der merkt, daß man in Gefahr gerät und am Bewußtsein vorbei die Notbremse zieht. Oder aufs Gas trampelt. Man merkt es oft erst, wenn man wirklich mal ein Problem bekommen hat und blitzschnell ausweichen oder rennen mußte. So was trainiert man, indem man an nichts denkt während man körperliche Übungen macht und wenn es Stricken ist.

Eine weitere Form von Übungen bezieht sich auf die Füße. Das ist allerdings
für Anfänger nicht so angezeigt, da man sehr starke Bänder braucht. Man trainiert damit für besondere Tritttechniken die einen Kampf sofort beenden. Auch wieder etwas das nicht für den Normalbürger empfehlenswert ist.

KFSB: Um aus diesen vielen Aspekten des Anfängertrainings zunächst einen auszuwählen: Was hat es mit den Stand-, Halte- und extrem langsamen Bewegungsübungen dieses Programms auf sich? Geht es hier um das Einüben von extrem fein koordinierten Stabilisierungs- und Ausgleichsbewegungen oder was steckt dahinter?

K.Loewe: Extrem langsame Bewegungen sind keine Methode um "Technik" zu üben oder zu korrigieren. Typischerweise entsteht ein Gefühl von Prickeln, Fließen, oder etwas Elektrisierendem. Das ist ein Indikator für bestimmte Dinge die sich verändern und in den Muskelhaushalt und dessen Funktion eingreifen (mein Eindruck). Was man definitiv merkt ist, daß einem athletische Leistungen beim Sport leichter fallen und weniger anstrengen. Auch wenn man nicht mehr trainiert als vorher.

Ob man will oder nicht, innere chinesische Kampfkünste basieren auf Jing und das indirekt auf Qi. Diese Übungen dienen dazu, diese Fähigkeit die jeder hat zu aktivieren, die Ressourcen zu bilden und es in die normalen Bewegungen unwillentlich einfließen zu lassen. Der Körper nimmt sich das einfach dazu, weil er es bemerkt und weil sehr langsame Bewegungen bestimmte Dinge wirklich zwingen. Man wird merken, daß der Muskel anfangs "springt", millimeterweise oder zwischendurch mal einen Satz macht. Das ist später nicht mehr so, der Muskel hat sich verändert.

Eigentlich sind langsame Bewegungen aber kein Bestandteil von Bagua, sondern von bestimmten Übungsformen in taoistischen Kreisen und anderer Stile. Im Bagua geht man eigentlich so vor, daß man zunächst einfach nur im Kreis geht, und dabei entsteht es auch. Daneben macht man diese statischen Übungen, wo über die Position bestimmte Dinge gereizt werden, was auch die Jing-Verwendung einfacher macht. Es kommt auch vor, daß jemand, der viel mit Leuten zu tun hat die solche Fähigkeiten haben, es einfach innerlich nachmacht.

Schriftzeichen "Jin/ Jing", in der Übersetzung etwa:
"Kampfkraft", Näheres dazu HIER

Insbesondere Kinder lernen oft so. Man sieht zum Beispiel daß alle Top-Sportler in der NBA oder im Handball, Volleyball oder welche Sportart auch immer, sich ähnlich bewegen. Man sieht einfach Dinge, die besser sind als was man selbst macht, und der Instinkt macht es nach, es sei denn man hat etwas Besseres oder ein Problem mit der Sache. Leider funktioniert es auch in die andere Richtung, wo Leute die in Kreisen lernen, wo nicht das ganz hohe Niveau vorliegt, sich ähnlich rumdaddelnd bewegen und nicht besser werden.

KFSB: Noch einmal zurück zu den Schritt-Übungen. Übt man diese Schritte primär, um eine spezielle Struktur des Körpers zu bilden, oder sind das die Schrittformen, die man später im Kampf anwendet, um sich zu bewegen? Oder trifft beides zu?

K.Loewe: Wie man sich leicht denken kann, wird man in einem Kampf nicht unbedingt im Kreis um einen Gegner rennen. Sowas kommt vor, wird dann aber nicht auf Abstand gemacht, sondern direkt am Gegner, mit Kontakt.

Die Übung dient also erstmal ausschließlich dem physischen Effekt. Es werden ständig die Balancefähigkeiten des Körpers stimuliert, und das ständige Umsetzen über das Knie stärkt alle Gelenke die beteiligt sind. Das Eindrehen wiederum wirkt auf den Oberkörper, die Rippenmuskulatur, Wirbelsäule usw.

Schritte wie man sie hinterher benutzt, entstehen zufällig, aufgrund von Partnerübungen und instinktiver Positionierung. Man denkt nicht über die Schritte nach, sie ergeben sich.

Schriftzeichen "Bu Fa", in der Übersetzung etwa:
"Schrittarbeit" bzw. "Schrittübungen", Näheres dazu HIER

KFSB: Wie lange sollten diese Basis-Übungen, also Qigong, Standübungen und Schrittarbeit von einem Anfänger ungefähr trainiert werden, bis er für die ersten Partner-Zweikampf-Übungen bereit ist? Sicher hängt das stark von der jeweiligen Person ab, aber kann man trotzdem eine ungefähre Zeitspanne benennen?

K.Loewe: Traditionelle Lehrer machen so was auch mal ein oder zwei Jahre bevor man weiter geht, damit man nicht in alte Muster verfällt, um sich gleich "zu wehren". Früher haben die Leute auch als Teenager oder Kinder angefangen, mindestens mit Basisübungen.

Davon abhängig sollte man mindestens mehrere Monate mit solchen Basis-Übungen verbringen, bevor man "sparrt" oder stärkere Kontaktübungen macht, auch mit Gegenständen. Besser, man macht das wirklich erst ein Jahr, bis zu zwei, bis man merkt, daß der Mensch bestimmte Arten von Kraft entwickelt.

Man kann aber auch frühzeitig leichte Partnerübungen mit geringem Kontakt
machen, das könnte sogar helfen. Also Circle-Walking mit Partner, wo man sich an diesen nur anlehnt. Oder Pushing-Hands-Übungen mit Ableiten, wo man nur führt, keine Kraft nutzt. Schlecht ist, wenn man Übungen mit kräfigem Kontakt zu früh anfängt.

KFSB: Wie sehen nun die ersten Partner-Zweikampf-Übungen aus, gibt es da grundlegende Prinzipien des Übungsaufbaus, an die man sich unbedingt halten sollte?

K.Loewe: Eine schwierige Frage, weil Bagua historisch in diverse Richtungen gespalten ist. Vermutlich wird man überall Übungen finden, wo zwei Leute miteinander im Kreis gehen, sich gegeneinander lehnen oder an einem Arm Kontakt haben und öfter die Richtung wechseln und verschiedene Prozeduren des Kontaktwechsels durchlaufen. Ein bißchen sieht es aus wie Eingänge in Hebel oder ein Schlag der in einem Gate ankommt, also in einer Richtung. Man lernt diverse Methoden die Arme zu lenken, oder in eine Technik zu leiten.

Von solchen Übungen kann man viele Versionen finden, von denen manche aus diversen Stilen übernommen wurden. Daher kann man auch schlecht von Bagua-Übungen reden. Man findet Taiji-ähnliche Pushhands-Übungen, die auch nicht im Kreis gegangen werden, und wahrscheinlich sind es auch Taiji-Übungen. Manche sehen mehr nach Xing-Yi aus.

Schriftzeichen "Xing Yi Quan", in der Übersetzung etwa:
"Stil von Form und Geist", Näheres dazu HIER

Es gibt auch Übungen, wo man die Arme in bestimmten Methoden gegeneinander schlägt, zum Beispiel streifend, so daß man lernt, so etwas mit einer Ellbogenbewegung abzulenken. Es ist härter als Taiji, aber man lernt auch, es in ähnlichen Mustern wie Taiji zu tun, also fließend und haftend. Mir ist gegenwärtig, daß wir [während der Lehrzeit, Anm. KFSB] viel auf schneidende Muster Wert gelegt haben, also solche, wo man graduell Kontakt aufnimmt, im Winkel durch die Seite des Gegners schneidet und mit stärker werdendem Kontakt den Gegner abprallen läßt, wie mit einem Ellbogen schlagend.

Es gibt einmal so etwas wie den "Bodyguard"-Weg, ich glaube mir hat man das als den "kleinen" Weg erklärt. Man lernt jede Menge abhärtende oder prallende, schiebende oder lenkende Methoden, also lauter kleine Übungen für kleine Fähigkeiten die man alltäglich braucht, um Leute ein bißchen rumzuschubsen oder kleine Scharmützel zu bewältigen, mit ein bißchen Schubsen, Prallen, Hauen oder auch ein bißchen Treten. So etwas sieht ähnlich wie andere Kung-Fu-Stile auch ein bißchen boxerisch oder rustikal simpel aus. Als spätere weiterführende Methoden wird es sicher eine Menge an Ringkampfübungen gegeben haben, was ich aber nur mal gesehen und nicht gelernt habe.

Was mir als der "große" Weg erklärt wurde und was ich auch geübt habe, ist, instinktiv mit Kontakt zu spielen. Ein bißchen wie Taiji aber nicht abgesprochen, sondern mit meditativem Spiel inklusive Schrittarbeit langsam zu "erforschen", was man alles machen kann. Das erfordert allerdings einen Lehrer der so etwas kann. Man braucht auch bereits eine gewisse Fähigkeit, innere Mechanik zu können oder auch mit innerer Kraft zu arbeiten. Also muß man bereits ausreichend Grundlagenarbeit gemacht haben, damit es körperlich vorhanden ist, was man machen soll.

Von den "kleinen" Übungen kann man jede Menge auch für sich alleine machen, schlägt dann halt mit der einen Hand oder dem Arm gegen den anderen bzw. die Hand oder gegen Gegenstände.

Als Partnerübung unbedingt machen, wenn man reale Fähigkeiten bekommen will, muß man Übungen bei denen einer auf bestimmten Linien normale Schläge macht und der Partner diese abfängt. Mit schneiden oder parieren. Eine wichtige Fähigkeit ist, seinen Unterarm so in den Schlag zu bringen, daß der angreifende Arm diesen irgendwo trifft und so abgelenkt wird. Das ist kein passiver Block wie die Hände vors Gesicht bringen und hoffen daß der Gegner nicht vorbei findet, sondern aktiv die Hände oder Unterarme in tatsächliche Bahnen bringen, wo es keinen Weg vorbei gibt.

Später kann man damit einen Gegner, der viel Kraft in den Schlag legt, geradezu in den Boden rammen oder ihn wegprallen lassen, wobei man kleine Nick-, Dreh-, Zug- oder Lenkbewegungen einbaut, mit typischen Drehbewegungen des Unterarms (dafür hat man so etwas auch in Formen). Damit wird der Gegner in seinem eigenen Schlag angehoben oder woanders hingelenkt, während man in den Gegner vorgeht und kontert. Graduell übt man zusätzlich diverse Manöver anzusetzen, wie man hinter den Gegner kommt oder durch ihn hindurch. Auch Bestandteil solcher Übungen sind Wurfeingänge, so etwas habe ich bis auf wenige Spezialtechniken nicht geübt, diese sind aber zu gefährlich um so etwas unbedarfte Leute üben zu
lassen.

Grundsätzlich sollte man mit wenigen solcher Schlagabwehrübungen, Kontermethoden und ein bißchen Ringkampf wie im Taiji hinkommen. Weiterführende Dinge, die mal dafür vorgesehen waren, in Innenräumen Leute sehr schnell wirklich auszuschalten, muß man nicht unbedingt wissen oder viel trainieren. Ich fühle mich da ein bißchen unwohl, wenn ich so etwas vormache. Vom Gefühl gehört es für mich aber irgendwie dazu, da es ein wichtiger Ansatz in gefährlichen Situationen und deren Lösung darstellt.

KFSB: Abschließend soll uns noch einmal die Rolle des Lehrers interessieren. Wie wichtig ist ein Lehrer für das Training des Übenden? Wäre es für einen Neuling im Baguazhang denkbar, sich mit anderen Übenden zusammenzutun, um gemeinsam entsprechend der von uns besprochenen Prinzipien zu üben, vielleicht mit Hilfe von Videos und Büchern oder ist das ohne Lehrer ein aussichtsloses Unterfangen? Wie sieht es mit der Sinnhaftigkeit von Wochenend-Seminaren bei renommierten Meistern aus?

K.Loewe: Es ist eigentlich überhaupt kein Problem, wenn einigermaßen geschickte Leute sich die Übungen irgendwo abschauen und es dann einfach tun. Es gibt auch genug Leute, die nur im Fernsehen Fußballer oder Basketballer sehen und das durch Nachmachen auch drauf kriegen. Man hat nur öfter mit total unbegabten und körperlich wie emotional belasteten Leuten zu tun, die eine simple Handbewegung nicht nachmachen können, obwohl man es oft vormacht. Im Sport habe ich dagegen Leute gesehen, denen ich eine komplexe Sache einmal vorgemacht habe, und die haben es einfach komplett richtig nachgemacht. Nicht mit soviel Power, aber trotzdem von der Art gleich.

Wenn man sich an die Reihenfolge hält und mit den Vorübungen anfängt, dann einfaches Circle-Walking und Partnerübungen und später zu den komplexeren, ist es kein Problem. Man muß nur einmal begriffen haben wie man es richtig macht. Dafür reicht sicher, sich einmal für ein Wochenende einen Adam Hsu - oder wen man finanzieren kann - einzuladen, mit einer 20er Kleingruppe und die Basisübungen einmal durchzugehen, damit jeder mal korrigiert wurde und es im Grunde korrekt gelernt hat. Für die Kontakte kann ich schon sorgen.

Schriftzeichen "Shifu", in der Übersetzung:
"Lehrer" bzw. "Meister", Näheres dazu HIER

Das nimmt man privat für sich mit Erlaubnis auf Video auf und gut ist. Man wiederholt es dann einmal oder zweimal im Jahr, für weitergehende Übungen und fertig. Ein Lehrer ist natürlich leichter, da man dann immer mal wieder ein paar Tips bekommt oder sich einschleichende Fehler korrigiert bekommt, aber so kompliziert ist es eigentlich nicht, wenn man bei A anfängt und nicht bei Y.

Man soll sich auch nicht verrückt machen von wegen "Fehler". Ein paar Millimeter in der Handhaltung machen den Kohl nicht fett. Vom Körpergefühl
her merkt man selbst, wo man sich nicht gut bei fühlt. Es handelt sich um Feedback-Übungen, das heißt, man fühlt, wo man es richtig macht. Es stellt sich ein bestimmtes Gefühl ein. Wenn man es behält, macht man es auch richtig. Wichtig sind Grundparameter, wie die Stärke von Eindrehungen oder grundsätzliche Haltungen, der Rest kommt vom Machen.

Bei den Partnerübungen ist es ähnlich, man wird halt mit Top-Lehrern schneller gewisse Stadien erreichen, weil man mit dem konfrontiert wird, wohin man selbst kommen soll. Wenn man mit Anfängern übt, braucht man eine gewisse Zeit um dahinter zu kommen, vom Gefühl her. Das ist aber nicht so schlimm. Im Zweifel pusht man öfter mit fortgeschrittenen Taijilern, das ist okay. Selbst Anfänger die nach einem Jahr nicht wußten, daß sie innere Energie hatten, haben damit gearbeitet, wenn ich sie entsprechend "stimuliert" habe. Die Anlage war also vorhanden. Im Zweifel muß man sich eben die entsprechenden Lehrer mal für eine Woche einladen oder nach England fahren wo es welche gibt, die schon recht gut sind und eben nicht so weit weg.

Im Wesentlichen liegt das Augenmerk auch auf "Spielen" und der körperlichen Ertüchtigung. Ernsthaft angewendet sind manche Dinge fatal, so was ist also keine Spielerei. Man sollte so was nicht mit der Absicht lernen, das volle Programm zu lernen, um sich irgendwo zu prügeln oder auf Sparringstreffen zu kämpfen. Dafür sind Würfe auf den Kopf oder entsprechende Manöver zu gefährlich.

KFSB: Vielen Dank für dieses höchst informative Interview!