Interview mit
Wudang-Meister Tang Li Long

 

von Thorre Schlaméus

In der Berliner Akademie der Kampfkünste fand vom 28.9.07 bis 7.10.07 ein Lehrgang statt, bei dem Meister Tang Li Long die Grundlagen der Wudang-Kampfkunst vermittelte. Meister Tang gehört der 15. Generation von WudangPai-Meistern an und wurde von Großmeister You Xuan De ausgebildet, der als Experte der Inneren Kampfkünste Chinas große Berühmtheit erlangt hat.

Durch die Unterstützung des Gründers und Hauptlehrers der Akademie der Kampfkünste, Ismet Himmet, gelang es mir, ein Treffen zu vereinbaren, bei dem ich die Gelegenheit hatte, Meister Tang Li Long einige Fragen zur Wudang-Kampfkunst zu stellen.

Das Interview wurde in den Räumlichkeiten der Akademie der Kampfkünste in Berlin durchgeführt, Herr Himmet stellte sich als Dolmetscher zur Verfügung.




Meister Tang Li Long beim Interview in der Berliner
Akademie der Kampfkünste
Foto: Anna Homburg


KFSB:
Meister Tang, vielen Dank dafür, daß Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen. In Deutschland gibt es ein großes Interesse an den Inneren Kampfkünsten Chinas. Wie würden Sie die herausragenden Merkmale der Wudang-Kampfkunst beschreiben?

Meister Tang: Ein besonderes Merkmal des Wudang Pai besteht im kontinuierlichen Fluß der Bewegungen des Körpers. Diese Bewegungen haben ihren Ursprung im Dan Tien, und sie werden durch das Qi gesteuert.

Obwohl Wudang-Kampfkunst meist sanft, weich und langsam ausgeübt wird, ist wichtig zu verstehen, daß es dabei immer auch um den Wechsel von weich zu hart, von langsam zu schnell und umgekehrt geht.

KFSB: Wie unterscheidet sich die Wudang-Kampfkunst vom Shaolin Quan?

Meister Tang: Ich verstehe Shaolin Quan eher als eine äußere Kampfkunst (Wai Jia). Es geht dabei zunächst vorrangig um das Training von Muskeln, Sehnen und Knochen. Wudang-Kampfkunst hingegen ist eine innere Kampfkunst (Nei Jia). Hierbei geht es primär um die Übung des Qi.

 

Meister Tang Li Long und Ismet Himmet
bei der Demonstration eines Prinzips aus dem Tai Ji Quan
Foto: Anna Homburg


KFSB: In Deutschland werden die Inneren Kampfkunststile häufig als Gesundheitssysteme verstanden und praktiziert. Als wie bedeutsam würden Sie den kämpferischen Aspekt der Wudang-Stile beschreiben?

Meister Tang: In den Wudang-Kampfkünsten haben alle Übungen auch immer einen kämpferischen Aspekt. So sind auch viele Bewegungen, die wir beim Wudang-Qigong ausführen, als Kampftechniken einsetzbar.

Übungsformen, die keinerlei Bezug zu kämpferischen Anwendungen besitzen, gehören nicht zum echten Wudang Pai. Das authentische Training von Wudang-Kampfkunst basiert auf dem Entwickeln bestimmter körperlicher Fähigkeiten, die im Kampf einsetzbar sind.

KFSB: Sie sprechen das Training von physischen Fähigkeiten an. Wie wichtig ist das technische Training? Kann man sagen, ein Bereich des Trainings wäre wichtiger als der andere?

Meister Tang: Nein, denn das Training der korrekten Technik ist natürlich ebenso wichtig. Erst die Technik ermöglicht es, die physischen Fähigkeiten auf den Gegner anzuwenden.

KFSB: Meister Tang, welche Bedeutung haben die Formen (Tao Lu) in der Wudang-Kampfkunst?

Meister Tang: Die Formen sind sehr wichtig. Wir betrachten das Training der Formen als Bewegtes Qigong. In der Wudang-Kampfkunst spielen sowohl Bewegung als auch Stille eine große Rolle.

Dies kann man in den Symbolen von Schlange und Berg wiederfinden. Die Schlange ist sehr beweglich, sie steht für Flexibilität und Bewegung, während der Berg in sich ruht, Stabilität und Stille ausdrückt.

KFSB: Das bedeutet, WudangPai-Training ohne das Praktizieren von Formen ist undenkbar?

Meister Tang: Ja, die Formen gehören zum unverzichtbaren Bestandteil des Wudang Pai.




Meister Tang Li Long und Ismet Himmet
bei der Demonstration eines Prinzips aus dem Wudang Pai
Foto: Anna Homburg

KFSB: Was gibt es zu den anderen Trainingsbereichen traditioneller Kampfkunst zu sagen? Welche Rolle spielen Partnerarbeit (Dui Lian) und Freikampf-Übungen (San Shou) im Wudang Pai?

Meister Tang: All diese Bereiche des Trainings sind wichtig. Um Wudang-Kampfkunst zu meistern, muß neben Tao Lu auch Dui Lian und San Shou praktiziert werden.

KFSB: Ab wann sollte ein Schüler beginnen, Freikampf zu üben?

Meister Tang: Voraussetzung für sinnvolles Freikampf-Training ist erstens, daß der Schüler sicher stehen kann. Das heißt, er muß die Verwurzelung im Boden beherrschen. Zweitens sollte ein Schüler, der mit Freikampf beginnen möchte, über eine gewisse Bewegungsgeschmeidigkeit verfügen.

Verwurzelung und Geschmeidigkeit werden durch Qigong erworben. Die Freikampf-Übung sollte eine natürliche Fortsetzung oder Weiterentwicklung der Partner-Übungen (Dui Lian) sein.

KFSB: Welchen Stellenwert besitzt die spirituelle Schulung im Wudang Pai?

Meister Tang: Traditionell gehörte die daoistische Philosophie untrennbar zur Wudang-Kampfkunstausbildung. Jeder, der Wudang-Kampfkunst erlernen wollte, wurde auch in der daoistischen Lehre geschult. Das hing natürlich auch mit der Tatsache zusammen, daß Wudang-Kampfkunst ausschließlich im Wudang-Kloster gelehrt wurde.

Heute verhält es sich anders. Wudang-Kampfkunst wird auch außerhalb des Klosters unterrichtet. Man muß heute kein Daoist sein, um Wudang-Pai üben zu können. Aber natürlich schauen sich die Lehrer sehr genau den Charakter ihrer Schüler an, um zu entscheiden, ob man sie in der Wudang-Kampfkunst unterrichten kann.




Meister Tang Li Long beoabachtet eine Partnerübung
beim Seminar in der Berliner Akademie der Kampfkünste
Foto: Anna Homburg


KFSB:
Meister Tang, in Deutschland wird viel über Cross-Training diskutiert. Was denken Sie über das Praktizieren verschiedener Kampfkünste?

Meister Tang: Ich halte das grundsätzlich für sehr sinnvoll. In meinen Augen macht einen Kampfkünstler eben auch aus, daß er sich darum bemüht, die verschiedenen Arten und Formen von Kampftechniken kennenzulernen.

KFSB: Meister Tang, Sie haben während der verschiedenen Seminare hier viele deutsche KungFu-Schüler kennengelernt. Was halten Sie von den deutschen Schülern?

Meister Tang: Es hat mich sehr positiv überrascht, wie ernsthaft und engagiert die Schüler in Deutschland Kampfkunst üben. Es geht mir ja darum, die traditionelle Wudang-Kultur zu erhalten. Das kann nur gelingen, wenn wir sie unter den Kampfkunst-Übenden bekannt machen. Deshalb freue ich mich natürlich zu sehen, daß die Menschen hier sehr offen und interessiert sind.

KFSB: Meister Tang, ich danke Ihnen für das Interview und wünsche Ihnen bei Ihren weiteren Seminaren in Deutschland alles Gute.

Meister Tang: Vielen Dank!





Thorre Schlaméus, Meister Tang Li Long, Ismet Himmet
Foto: Anna Homburg

 

 


Weitere Informationen zur Wudang-Kampfkunst erhalten Sie in der Berliner Akademie für Kampfkünste und unter folgendem Link: